„Einige wollen nicht mit mir auf die Matte“
Denis macht Ju Jutsu. Und ist HIV-positiv. Sein Verein steht hinter ihm. Aber nicht alle Mitsportler und Kampfgegner des Leipzigers sind so entspannt im Umgang mit seiner Infektion.
Denis macht Ju Jutsu. Und ist HIV-positiv. Sein Verein steht hinter ihm. Aber nicht alle Mitsportler und Kampfgegner des Leipzigers sind so entspannt im Umgang mit seiner Infektion.
Hallo Denis, warum bist du dieses Jahr Teil der Welt-Aids-Tags-Kampagne?
Weil ich in vielen Bereichen meines Lebens als HIV-Aktivist unterwegs bin. Ich finde es wichtig, Gesicht zu zeigen. Ich will nach außen tragen, wie der Alltag mit HIV aussieht, um so mit Stigmatisierung und Diskriminierung aufzuräumen.
Respekt!
Ich mache das gern. Nicht von Anfang an, zugegeben. Ich arbeite schon länger für die Aidshilfe in Halle, war anfangs aber nicht überall offen positiv. Dann sagte auf einer Konferenz ein Aktivist etwas ähnliches wie ich eben gerade. Da hat es bei mir Klick gemacht. Nur wenn wir uns offen zeigen, können wir auch offen mit HIV leben.
Dann fangen wir doch mal ganz vorne an: Wann hast du erfahren, dass du HIV hast, und wie war das für dich?
Das war im Februar 2009. Es war ein Zufallsbefund. Mein damaliger Freund war bei einem Vortrag der Aidshilfe gewesen und wollte, dass wir uns mal testen lassen. Ich fand das unnötig: Ich war sein erster Freund, und ich dachte, ich hätte kein Risiko gehabt. Aber er ließ nicht locker. Also bin ich zum Test, mit der festen Vorstellung, dass da nichts sein würde. Ich fühlte mich bestätigt, als er sein negatives Ergebnis bekam. Nur dass kurz darauf meines positiv war. Ich fiel erstmal in ein tiefes Loch, weil ich merkte: Ich hatte vom Leben mit HIV keine Ahnung.
Es kommt häufiger vor, dass Menschen ihre Risiken falsch einschätzen. Ist es für dich im Rückblick wichtig, wie du dich infiziert hast?
Ich weiß ungefähr, wann es gewesen sein muss. Aber schon damals habe ich mir gesagt: Zurückschauen bringt nichts. Ich blicke nach vorne und baue mir mein Leben mit HIV.
Wenn du sagst, du wusstest nichts über das Leben mit HIV: Was wusstest du denn ansonsten über HIV?
Naja, ich kannte die damaligen Obst- und Gemüsekampagnen der BZgA.
Da ging es um Kondome, mit Sprüchen wie „Passt auf jede Gurke!“ – eine jugendfreie Darstellungsform für die breite Bevölkerung …
Richtig. Aber ich identifiziere mich nun mal nicht als Gurke oder Banane. Dass Kondome schützen, wusste ich auch aus der Schule, aber da wurde HIV nur kurz gestreift. Insofern war es für mich nie ein Thema. Die guten Kampagnen, speziell für Männer, die Sex mit Männern haben, begannen erst in der Zeit meiner Diagnose.
Wie sah dann die Zeit danach aus?
Als ich mein Ergebnis abgeholt hatte, kam mein Freund und fragte ironisch: Und, wie lange lebst du noch? Nicht so schön. Wir sind dann sofort zur Aidshilfe gegangen und haben uns beraten lassen. Die Beratung war top, wurde aber von drei Frauen durchgeführt. Da habe ich mich als junger schwuler Mann nicht so richtig aufgehoben gefühlt. Beim Arzt sollte ich vier Monate auf meinen ersten Termin warten. Alles nicht so toll.
Was hast du gemacht?
Ich habe die Initiative ergriffen und mich mit dem Vorstand der Aidshilfe zusammengesetzt und gefragt, ob ich da arbeiten kann. Sie waren gerade auf der Suche nach einem schwulen, HIV-positiven Mann mit Sozialarbeitsstudium. Ich war aber gelernter Betriebswirt. Sie haben anderthalb Jahre mit Zuwendungsgeberinnen und intern diskutiert, dann habe ich da angefangen und seitdem Netzwerke für Menschen mit HIV aufgebaut.
Du bist schon vor zehn Jahren in einer Welt-Aids-Tags-Kampagne gewesen. Vorhin hast du gesagt, du warst anfangs eher zurückhaltend. Wie hast du das verändert?
Anfangs wusste nur mein damaliger Freund und mein engstes Team bei der Arbeit über meine HIV-Infektion Bescheid. Auch meine Familie wusste noch nichts. Am Welt-Aids-Tag 2012 liefen die Medien Sturm und wollten HIV-Positive interviewen. Ich habe einem anonymen Interview zugestimmt, aber zwischen Tür und Angel fragte der Journalist von der Lokalzeitung, ob er ein Bild machen könne. Ich habe ihn das dann spontan machen lassen. Und mich so geoutet. Rückblickend würde ich das anders machen: Ein HIV-Coming-out ist nichts, was du spontan zwischen Tür und Angel in zwei Minuten entscheiden solltest.
Was waren denn die Folgen?
Der Artikel erschien an einem Samstag. Ab 8 Uhr früh klingelte mein Telefon nonstop. Und ich fragte mich: Was hast du bloß losgetreten? Es gab keine bösen Reaktionen, aber zum Beispiel rief mein Onkel an und sagte, ich solle mal meine Großeltern anrufen, die wären ganz aufgelöst und könnten mit der Situation nicht umgehen. An meine Familie hatte ich gar nicht gedacht. Ich hatte auch nicht erwartet, dass meine Eltern den Bericht mitkriegen, die wohnen ja nicht in Halle.
Haben sie aber mitbekommen?
Allerdings (lacht). Eine Ärztin meiner Mutter hat das bewundernswerte Engagement ihres Sohnes gelobt. Da meine Mutter nicht wusste, wovon die Ärztin redete, hat sie ihr den Artikel gezeigt. Ein paar Tage später rief mein Vater an und sagte: „Wir sollten mal reden.“ Ich bin dann gleich hingefahren. Es war dann alles gut. Aber als ich 2013 das erste Mal in der WAT-Kampagne dabei war, haben wir das vorher besprochen, damit sie sich vorbereiten konnten.
Du hast damals Volleyball gespielt. Wie hat dein Team reagiert?
Das war ein schwullesbischer Sportverein, und da standen sofort alle hinter mir. Es hieß nur: Wer damit ein Problem hat, weiß ja, wo der Ausgang der Sporthalle ist.
War das bei deinem Ju-Jutsu-Team später auch so?
Nicht ganz. Ich habe zu meinem Sport und jetzigen Verein über eine Veranstaltung der Aidshilfe gefunden, das Thema, „Selbstbewusstsein und Selbstverteidigung“, hatte mich angesprochen. Als der Welt-Aids-Tag vor der Tür stand, wollte ich keine Unklarheiten aufkommen lassen und hab meinen Trainer angesprochen. Der war entspannt und sagte: „Kein Problem, wir holen alle zusammen und besprechen das.“ Er hat dann dem Team erklärt, dass nichts passieren kann, auch wenn’s mal ’ne Verletzung gibt und dass alles einfach weitergeht wie vorher. Das wurde sehr gut aufgenommen. Mir wurde sogar applaudiert, was mich sehr gerührt hat. Die Teamkollegen haben gesagt: „Alles klar, wir melden uns, wenn wir Fragen haben, Denis.“
Und gab es viele Fragen? Wie war denn der Informationsstand im Team?
Viele waren noch auf dem Stand der 90er: tödliche Erkrankung. Die wenigsten wussten, dass es mittlerweile gute Medikamente gibt und dass HIV unter Therapie nicht übertragbar ist.
Das klingt nach viel Offenheit. Hast du keine Diskriminierung erlebt?
Doch, natürlich. Die schlimmsten Erlebnisse waren, wie bei vielen von uns, im Gesundheitswesen. Ich habe meine erste Therapie nicht gut vertragen und hatte endlose Magenprobleme. Irgendwann sind mein Freund und ich in der Notaufnahme gelandet. Als der Arzt erfahren hat, was ich nehme, hat er mir sinngemäß gesagt: „Das sind halt Nebenwirkungen ihrer HIV-Therapie. Daran sind Sie ja selbst schuld. Damit müssen sie jetzt leben.“ Und dann war die Behandlung für ihn beendet.
Wie hast du das erlebt?
Es hat mich nachhaltig traumatisiert. Diese Situation ist viele Jahre her, aber als ich neulich einen unserer Klienten in dieselbe Notaufnahme begleitet habe, kamen alle verdrängten Gefühle wieder hoch. Ich dachte eigentlich, ich hätte das gut verarbeitet. Ich habe dann allerdings gemerkt: Heute würde ich anders reagieren. Da würde ich am nächsten Tag auf der Matte stehen und Rabatz machen.
Gibt es denn im Sport außerhalb deines Vereins Berührungsängste?
Da müssen wir gar nicht über HIV reden, die gibt es schon, weil ich ein offen schwuler Mann bin. Es gibt Menschen, die wollen mit mir nicht auf die Matte und nicht von mir angefasst werden. Aber meine Trainer und meine Teamkollegen beenden solche Diskussionen. Sie stehen komplett hinter mir und stärken mir total den Rücken. Und das fühlt sich wirklich gut an.
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